So fand ich meinen eigenen Zeichenstil (Teil 2)
Habt ihr euch mal gefragt, wie man seinen eigenen Zeichenstil findet? Die Suche nach meinem eigenen Stil führte mich vom Manga zum Realismus und von Wasserfarben zu digitaler Malerei. Knapp zwanzig Jahre nach meinem ersten Comic fühle ich mich sowohl im Realismus, in der Portraitmalerei und in der digitalen Kunst wohl. Wie es dazu kam, beschreibe ich in diesem Post.
Nach meinen Bemühungen als Manga-Zeichnerin, von denen ich in meinem letzten Post erzählt hatte, kehrte ich zum stark vereinfachten Realismus zurück. Ich legte viel Wert darauf, dass Proportionen stimmen und verzichtete auf detaillierte Gesichtszüge. Dadurch sparte ich beim Zeichnen sehr viel Zeit und fokussierte mich darauf, dass Charaktere anhand ihrer Kleidung, Frisur oder Sprechweise erkennbar blieben.
Realistischer Zeichenstil trifft auf Fantasy-Geschichte
Durch High Fantasy Literatur inspiriert, entstand 2004 eine Geschichte, welche die Vorzüge der heutigen Gesellschaft infrage stellt. Ursprünglich handelte es sich sogar um eine klassische High Fantasy Welt mit Elfen, Drachen, Rittern und Magie. Mit jedem weiteren Pinselstrich hatte ich das Gefühl, mich im falschen Film zu befinden. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie sich Fabelwesen bewegen und wie ich Magie darstellen soll. Je mehr ich mich mit den Charakteren beschäftigte, desto realistischer wurde die Geschichte. Aus der High Fantasy Welt wurde ein alternatives Mittelalter.
Im Gegensatz zu Satoshi habe ich die Panelführung und Panelgröße an das westliche Leseverhalten angepasst. Aus heutiger Sicht sind es immer noch zu viele Bilder pro Seite. Bei der Wahl der Zeichenmittel begab ich leider einen sehr großen Fehler: Der Comic wurde auf kariertem DIN-A4-Papier gezeichnet. Durch die Aquarellbuntstifte wurden vereinzelte Farben besonders kräftig, aber das Karo-Papier lässt sich nicht aus den Scans löschen.
Mein Comic wurde nach drei Bänden à 20 Seiten abgebrochen, weil die Geschichte so lang war, dass sie locker 50 Bände hätte füllen können. Seitdem wird das Projekt als Roman weiterverfolgt und umfasst mittlerweile über 1200 Normseiten. Den Titel lasse ich noch offen, weil ihr in den nächsten Monaten und Jahren noch genug darüber hören werdet.
Be Yourself: Buntstifte auf Blankopapier
Um denselben Fehler nicht nochmal zu machen, zeichnete ich mein nächstes Werk Be Yourself auf Blankopapier. Mit Erfolg, denn der Comic im Jahr 2005 ausgestellt und in Kleinstauflage gedruckt. Be Yourself umfasst 150 DIN-A4-Seiten und knüpft stilistisch an mein Vorgängerwerk an. Ich fand meinen Zeichenstil also in einer vereinfachten Darstellung des Realismus. Die weichen Schatten machen bis heute meinen Stil aus. Leider lernte ich erst beim Drucken und Binden im Copyshop, dass sich Buntstifte nicht für farbechte Scans eignen.
In Be Yourself geht um einen jungen talentierten Musiker, der sein Image ändert, um im Musikbusiness erfolgreich zu werden. Es ist die Geschichte vom Aufstieg und Fall einer fiktiven Gothic Rock Band.
Umstieg auf digitale Malerei
Es ist äußerst schade und ärgerlich, wenn man eine Geschichte nicht publizieren kann, weil sie mit den falschen Mitteln erstellt wurde. Daher beschäftigte ich mich in den nächsten Jahren zunehmend mit der Frage, wie ich Graphiken für den Druck optimieren kann.
Auf dem Künstlerportal Deviantart hörte ich zum ersten Mal vom Begriff „digital art“, also Digitale Malerei. Statt mit Bleistift und Buntstift zu malen, werden Illustrationen mit einem Graphiktablett in einer Graphiksoftware angefertigt. Mein erstes Werk in dieser Richtung war übrigens das Titelbild zu Be Yourself, das ich mit einer gewöhnlichen Maus malte. Ich war von den Farben und dem Druckergebnis so angetan, dass ich mir kurz darauf ein Graphiktablett kaufte.
Wer das Zeichnen und Malen mit Stift und Pinsel gewohnt ist, wird viele Monate und Jahre brauchen, bis die Werke auf dem Graphiktablett eine vergleichbare Qualität haben. Man muss sich erst daran gewöhnen, dass Stift und Papier entkoppelt sind und dass die Farbmischung am Bildschirm anders ist, weil man sich in einem anderen Farbraum bewegt.
Indiependent: Jugendliche Subkulturen
2008 entstand der Comic Indiependent. Es handelt sich hierbei um eine Fortsetzung von Be Yourself, die sich einerseits mit Subkulturen der Musikszene und andererseits mit jugendlichem Leichtsinn befasst. Während Be Yourself eher als Drama einzuordnen ist, ist Indiependent eine Komödie. Deswegen dreht sich die Geschichte nicht um Matt, sondern um seinen besten Freund Alex, der noch Oberstufenschüler ist. Hier sind zwei kurze Szenen, die euch einen Vorgeschmack auf den Humor geben.
Anders als sein Vorgänger wurde der Comic durchgängig mit einem HB, 3B und 6B Bleistift gezeichnet. Je weicher die Mine, desto einfacher konnte ich große Zeichnungen meiner Charaktere anfertigen. Wie das genau funktioniert, erkläre ich in diesem Blogpost ausführlicher. Mein Zeichenstil veränderte sich insofern, als ich mehr Wert auf Gesichtszüge und Gesichtsausdrücke legte.
Ich habe lange mit dem Gedanken gespielt, meine Zeichnungen digital zu tuschen und am Graphiktablett zu kolorieren. Nach ein paar Probeseiten bemerkte ich, dass mein Zeichenstil zu detailliert ist, um den Comic in absehbarer Zeit druckfertig zu machen. Pro Seite müssen mehr als zehn Stunden eingeplant werden, sodass Indiependent zu einem mehrjährigen Vollzeitprojekt werden würde. Der Wunsch, diese Geschichte auf die Gesellschaft loszulassen, ist nach wie vor groß, auch wenn die musikalischen Subkulturen vor zehn Jahren andere waren als heute.
Aus Zeitmangel Illustrationen statt Comics
Während meines Studiums hatte ich leider zu wenig Zeit, um Comics zu zeichnen. Da erschien mir das Schreiben von Büchern wesentlich effizienter. Ich konnte mich schwer damit abfinden, dass ein Buch nur aus Buchstaben bestand und illustriere seitdem Szenen, Charaktere und Orte bei Bedarf. Erst seit 2012 erziele ich mit der digitalen Malerei akzeptable Ergebnisse und verbessere mich stetig. Doch war ich dort weit entfernt, meinen eigenen Stil zu finden.
Vektor Art – Schemenhafter Realismus
Die Anzahl an Werkzeugen und Texturen bei der digitalen Malerei ist erstaunlich und erdrückend zugleich. Auf der Suche nach Möglichkeiten, schöne Bilder in kurzer Zeit zu zeichnen, blieb ich beim Thema Vektor Art hängen. Darunter versteht man Graphiken mit einer handvoll Farben, die frei skalierbar sind. Da die Dateien Pfade statt Pixel speichern, sind sie besonders speichereffizient und perfekt für Internet und großformatigen Druck geeignet. Der Stil erinnert ein wenig an Pop Art, bloß dass die Farben seltener verfälscht werden. Mein erster Versuch in dieser Richtung stammt aus dem Jahr 2008, wo ich an einem T-Shirt-Design-Wettbewerb der australischen Elektro-Pop-Band Cut Copy teilgenommen habe.
Das Zeichnen und Freistellen von Pfaden ist eine äußerst zeitintensive Sache, da man geschlossene Kurven definieren muss, die das Motiv abdecken, ohne zu überschneiden. Nach einigen Versuchen stand für mich fest, dass ich die minimalistische Optik mag, aber lieber mit Rastergraphiken arbeite. Meine heutigen Bilder sehen nur aus wie Vektorkunst, bestehen aber aus Pixeln.
Ich nutze diesen stark vereinfachten Zeichenstil mittlerweile gerne, um Charaktere zu entwerfen. Es ist nicht leicht, eine Person auf wenige Striche und Farben zu reduzieren. Auf diesem Bild seht ihr dieselbe Person in einer wesentlich realistischeren Darstellung. Statt 20 Stunden brauchte ich für obige Vektorzeichnung nur noch 1,5 Stunden. Bei so einer Vereinfachungen muss man sich Gedanken machen, was die relevanten Merkmale sind. Hier sind es ganz klar die Grübchen und der schelmische Blick.
Wenn man genau hinsieht, erkennt man sogar, dass die Grundzüge meines heutigen Zeichenstils bereits 2001 existierten und es meine Zeichnungen wie von selbst in diese Richtung bewegt haben. Ich mag Realismus, aber es kostet zu viel Zeit. Ich zeichne lieber viele Linien als dicke Ränder und übernehme die sanften Schattierungen aus dem Manga.
Morgen: Konzeptkunst?
Wenn ich alle Zeit der Welt hätte, würde ich mich gerne in Richtung Concept Art oder Matte Painting weiterentwickeln. Ich bin fasziniert, wie realistische Welten und Figuren für Spiele und Leinwand entstehen, ohne dass ein Werk abgeschlossen aussieht. Bis dahin ist es ein weiter Weg. Im Bereich der Architektur und Landschaftsmalerei bin ich ein kompletter Anfänger. Konzeptkünstler beschäftigen sich viel intensiver mit der Gesamtwirkung des Bildes statt mit den Details. Vom Gedanken her ist es ein ganz anderer Ansatz, als ich aktuell verfolge, auch wenn manche meiner Werke durchaus Richtung Konzeptkunst gehen.
Als ich mit dem Zeichnen begann, habe ich nie daran gedacht, mich jemals mit Computergraphik und Leinwänden zu beschäftigen. Ich hoffe, dass ihr euch durch diesen Post motiviert fühlt, auch außerhalb eurer Komfortzone nach Inspirationen und Herausforderungen zu suchen. Der eigene Zeichenstil findet sich nach Jahren wie von selbst, wenn man das vorantreibt, was einem Spaß macht. Werde ich in zehn Jahren immer noch so zeichnen? Oder etwas vollkommen anderes tun? Ich weiß es nicht.