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Musik

Braucht man einen eigenen Sound?

Viele Musiker*innen und Musikproduzent*innen entwickeln über mehrere Jahre ihren eigenen Sound. Meistens bestimmt die Stimme den Klang einer Band, doch der eigene Sound kann auch aus Rhythmen, Strukturen, Melodien oder Sounddesign entstehen. Es ist der Sound, den man hört, wenn man den Namen eines Musikers oder einer Band ausspricht. Oder auch der Bandname, der einen in den Sinn kommt, wenn man ein neues Lied im Radio hört. Doch benötigt jede*r Künstler*in einen eigenen Sound?

Der Einfluss von Sänger*innen auf den eigenen Sound

Charismatische Sänger*innen sind Segen und Fluch zugleich. Die meisten Hörer*innen erkennen eine Band anhand der Stimme und selten an den Solist*innen, Songwriter*innen oder Keyboarder*innen.

Was passiert mit einer Band, wenn der*die Sängerin geht?
In den meisten Fällen führt dies zu einer Auflösung. Manche Bands versuchen eine Person mit einer ähnlichen Stimmlage und Stimmfarbe zu finden, damit auch die alten Songs spielbar bleiben. Die finnische Metalband Nightwish ist ein gutes Beispiel, dass trotz zahlreicher Wechsel, die Band ihrem Stil treu bleibt. Natürlich hat jede Sängerin ihre eigene Note in die Band gebracht, doch das Stilmerkmal von Nightwish ist die Mischung aus Heavy Metal mit orchestraler Musik, die knapp am Musical vorbei schrappt und sich manchmal sogar dem Progressive Rock zuordnen lässt. Obwohl die Sängerinnen sehr unterschiedliche Stimmfarben haben, gelang es Songwriter Tuomas Holopainen stets für jede Person Songs zu schreiben, die einerseits zu Nightwish passten und andererseits zu ihrer Stimme. Das macht ihn für mich zu einem der besten Songwriter, die ich je gehört habe. Hier jeweils ein Beispiel mit Tarja und Anette, die eine vollkommen unterschiedliche Stimmfarbe und Technik haben. Beide Links führen zu offiziellen YouTube Kanälen.

Manchmal kündigen sich größere Stilwechsel über längere Zeit an. Obwohl Sharon den Adel durchgehend die Sängerin von der niederländischen Band Within Temptation war, klangen die ersten Alben nach Symphonic Metal und die neueren Alben nach Stadionrock. Man erkennt die Stimme kaum wieder, da sich ihre Gesangstechnik über die Jahre verändert hat. Ihre heutige durchsetzungsstarke Stimme passt nicht mehr zu dem Symphonic Metal der alten Tage. Das Arrangement änderte sich, doch das Songwriting nicht.

Arrangement und Sound Design können auch den eigenen Stil beeinflussen

An diesen Beispielen wird deutlich, dass der Gesang zwar ein Kernmerkmal eines eigenen Stils sein kann, aber nicht zwingend sein muss. Im Bereich der elektronischen Musik gehören unterschiedliche Sänger*innen und Co-Produktionen zum Tagesgeschäft.

Wie erreicht ein Produzent oder Songwriter seinen eigenen Sound?
In der elektronischen Musik drängt sich das Thema Sound Design zunehmend an die Oberfläche. Ein aktuelles Beispiel ist VIZE, dessen Slap Bass man innerhalb von tausenden EDM Produktionen erkennt (Beispiel auf seinem YouTube Kanal). In den 2000ern sorgte Eric Prydz mit seiner Side Chain Kompression für Furore, den der ungeübte Hörer lediglich als pumpenden Bass oder den „Call on me“-Effekt kennt (Link führt zum offiziellen Musikvideo). Wenn sich ein bestimmter Sound oder Effekt durchgesetzt hat, findet er viele Nachahmer*innen. Meistens wird der Sound der Person zugeschrieben, die sie erfunden hat, doch das ist leider nicht immer der Fall.

Auch in der Popmusik kann das Thema Arrangement und Sounddesign zu einem eigenständigen Sound führen. Ich denke dabei an Produzent und Songwriter Adam Young (Owl City), der auf breite Synthesizer setzt, viel Wert auf Streicher-Arrangements legt und überdurchschnittlich viele Höhen nutzt. Obwohl er meistens Popmusik schreibt, grenzt seine Musik teilweise an elektronische Musik oder Singer-Songwriter. Wer sich intensiver mit seinen Songtexten befasst, wird merken, dass sich Adams eigener Sound auch in der Wortwahl und Grammatik wiederfindet.

Braucht jede*r Künstler*in ein Alleinstellungsmerkmal?

Wir sind uns einig, dass ein eigener Sound helfen kann, ein wiederkehrendes Publikum aufzubauen. Diesen eigenen Sound zu finden kann Jahre dauern. Schließlich geht es hier um ein Alleinstellungsmerkmal, das den Künstler von mehreren Tausenden, ja sogar Hunderttausenden abhebt. Es ist das, was dich zu einem besseren Gitarristen oder einer besseren Gitarristin macht als deine*n Nachbar*in, dein Sound Design von YouTuber*innen unterscheidet oder die Wortwahl, die du in deine Songtexte integrierst. Auch wenn es schwerfällt, sollte es dich nicht stören, mit anderen Künstler*innen verglichen zu werden. Das passiert automatisch, wenn man zufällig ein markantes Stilmerkmal getroffen hat. Diese Vergleiche sind nicht negativ zu bewerten. Du lernst dadurch dein Publikum besser kennen.

Es ist falsch anzunehmen, dass dich das Nachahmen deiner Lieblingskünstler*innen zu einem besseren Künstler oder einer besseren Künstlerin macht. Es kann dir helfen, Fans deiner Vorbilder als Publikum zu gewinnen, aber du wirst immer im Schatten deines Idols stehen. Im schlimmsten Fall führt das sogar zu künstlerischen Blockaden.

Ich bin der Meinung, dass man seinen eigenen Sound nicht finden kann, wenn man Musik analysiert oder andere Künstler*innen nachahmt. Man kann den eigenen Sound nicht erzwingen. Vergesse, wie du klingst, mach das, worauf du Lust hast. Vielleicht triffst du irgendwann den richtigen Nerv und erfindest etwas Neues, das bei der Masse ankommt. Vielleicht wirst du niemals deinen eigenen Sound finden. Selbst das sollte dich nicht entmutigen, weiterhin Musik zu machen. Ich glaube nämlich nicht daran, dass jede*r Künstler*in einen eigenen Sound haben muss.

An dieser Stelle möchte ich mich einem ganz besonderen Problem widmen. Vielleicht hattest du zeitweise deinen Sound gefunden und warst zu sehr damit beschäftigt, ihn in jedes Werk zu integrieren. Plötzlich klingt jeder Song gleich und verliert seine Ungezwungenheit und Authentizität. Spätestens hier ist es Zeit für eine Pause.

Besitze ich einen eigenen Sound?

Wenn man so viele Jahre Musik macht, ist es ganz normal, dass man sich diese Frage stellt. Schließlich möchte man wissen, ob und woran man im Radio erkannt wird. Doch wie sollte mein Sound sein, wenn ich in insgesamt dreißig Musikgenres unterwegs war?

Nach längerem Nachdenken würde ich diese Frage mit „nein“ beantworten. Ich habe zweimal versucht, einen eigenen Sound zu kreieren. Bei meinen Progressive Trance Stücken, wie z.B. Intensively, war es eine spezielle Kombination von Synthesizern, später war es eine bestimmte Akkordfolge. Drei, vier Songs hat gut geklappt und dann nicht mehr. Es passiert genau das, was ich oben beschrieben habe: Der kreative Prozess wird unterbrochen, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, es dem Publikum recht zu machen.

Erst, als ich mich von diesem Thema gelöst habe, fand ich heraus, dass der eigene Sound etwas ganz anderes sein kann: persönliche Vorlieben. Wenn die Musik nur so aus mir herausströmt, ist es sehr wahrscheinlich, dass ich etwas in einer Moll-Tonart schreibe (oder in modalen Tonarten), Streicher und Klavier zum Einsatz kommen und dass die Songtexte nachdenklich werden. Dabei spielt es gar keine Rolle, ob es nun ein Trance, Pop oder Metal Song ist.

Als Produzentin habe einen Workflow, wie ich meine EQs und Kompressoren einstelle. Es spielt keine Rolle, wer auf diesem Song singt oder Gitarre spielt – mein Sound ist scharf getrennt, wuchtig und hat relativ wenig Hall. Wenn The Verge von einer anderen Person produziert wird, würde die Band auch komplett anders klingen. Ja, auch wenn ich ihm oder ihr alle unsere Spuren geben würde. Trotzdem fühlt es sich nicht so an, als hätte ich meinen Sound gefunden. Ganz ehrlich? Ich vermisse es nicht.

Hinweis: Die Links in diesem Beitrag dienen zum besseren Verständnis des Textes und führen auf die offiziellen YouTube Kanäle der genannten Künstler*innen oder Plattenfirmen. Ich erhalte kein Geld und keine Gegenleistung für die Verlinkung.

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