Ein Remix in 36 Stunden
Die israelische Band Brownies stellte ihren Song „Dancing“ für den start-ab Remix Contest 2010 zur Verfügung. In nur 36 Stunden sollen Remixer*innen aus ganz Deutschland einen Remix in Radiolänge erstellen, der im Projekt Kulturhauptstadt Ruhr 2010 promotet wird. Lest hier, wie man einen Remix in so kurzer Zeit erstellt.
Analyse des Ausgangsmaterials
Pünktlich zum Start besuchte mich ein Drehteam des lokalen Radiosenders Antenne Düsseldorf, da sie eine Reportage über den Remix Wettbewerb drehen wollten. Bis zum offiziellen Startschuss wusste niemand, welcher Song, welche*r Künstler*innen oder welche Musikrichtung geremixt werden soll. Wir erhielten ein Remix-Paket mit sogenannten „Stems“. Das sind Einzelspuren oder Songschnippel, mit denen Produzent*innen den Song nach Belieben arrangieren können. Wie remixt man einen Song? Nun, dafür muss man das Original nach folgenden Merkmalen analysieren:
- In welcher Tonart ist das Original geschrieben worden?
- Was sind die Akkorde und deren Umkehrungen?
- Wie schnell ist der Song?
- Wechseln Tempo und Tonart?
Was heutzutage Algorithmen herausfinden können, erforderte im Jahr 2010 ein gutes Gehör oder viel ausprobieren, eine Skalenuhr und ein Metronom. Ihr könnt es ja mal selbst mit dem Original versuchen, das ich auf dem offiziellen Kanal der Band auf YouTube gefunden habe.
Erst suchte ich den exakten Startpunkt des Songs und legte alle Spuren darauf. Die Geschwindigkeit des Songs wurde mit einem Metronom gemessen. Anhand der Gesangsspur (häufig „Vocals“ genannt) machte ich mich mit der Melodie und der Songstruktur vertraut. Nach zwei Stunden habe ich eine grobe Idee über Aufbau und Arrangement des Originals.
Die passenden Harmonien finden
Ein guter Remix ist nah genug am Original, um es wiederzuerkennen, aber weit genug, um als eigenes Musikstück durchzugehen. Wie finde ich die Akkordfolgen den Songs heraus? Man könnte sie einfach nachspielen, doch ich erstelle mir einfach neue anhand der Bassspur und des Gesangs. Wieso nehme ich zum Remixen nicht die Gitarrenspuren? Hier der Grund:
Eine Gitarre hat ein sehr breites Frequenzspektrum, da viele Saiten gleichzeitig berührt werden. Wenn ich die Gitarrenspur des Originals nehme und der*die Gitarrist*in den Akkord Em7 spielt, muss ich in meinem Remix entweder denselben Akkord oder Teilakkorde wie Em, Em5 oder G nehmen. Je weniger Informationen ich über die Akkorde habe, desto mehr Spielraum habe ich. Singt der*die Sänger*in ein G und spielt der*die Bassist*in ein E, kann ich sämtliche Akkorde nehmen, die G und E beinhalten, was zum Beispiel auch C sein könnte. Ich muss lediglich darauf achten in einer Skala zu bleiben, die mit dem Gesang harmoniert.
Dass ein Remix nicht dieselben Akkorde und Tonarten wie das Original haben muss, könnt ihr auch bei meiner Single „Lost Letter“ hören. Das Original ist in F-lydisch geschrieben, der Thomas You Remix in C-Dur. Beide Versionen verwenden dieselbe Gesangsspur. Das funktioniert, weil F-lydisch und C-Dur denselben Tonvorrat nutzen. Den theoretischen Hintergrund dazu findet ihr in meinem Post über modale Skalen bzw. Kirchentonarten.
Überlegungen zum Arrangement
Nach drei Stunden verließ mich das Radioteam. In dieser kurzen Zeit habe ich alle Akkorde gefunden und in Arpeggios aufgelöst. Ich produzierte bis in den späten Abend, doch Arpeggio kämpfte so sehr gegen die Gesangsmelodie an, sodass ich die Arbeit für diesen Tag aufgab. Ich schrieb mir die Akkordfolge auf und legte mich schlafen. Am nächsten Morgen fand ich heraus, dass der Remix mit wesentlich kompakteren Akkorden schöner klang und löschte aus fast allen Akkorden eine Terz oder Quinte heraus.
Bislang bestand mein Remix nur aus einer Strophe und einem Refrain. Als Nächstes musste das Arrangement angegangen werden. Dazu füllte ich die Synthesizerspur entlang des Gesangs auf, legte einen Beat drunter und überlegte, welche Instrumente passen. Für den musikalischen Höhepunkt kramte ich die Lead-Gitarren heraus. Aus dem riesigen Fundus an Originalspuren nutzte ich weitere Gitarrenspuren für sogenannte Fills. Den Rest des Nachmittags verbrachte ich damit, einen Trance Beat zu erschaffen.
Mixing und Mastering
24 Stunden waren vergangen und mein Remix war fast fertig. Da ich während des Arrangierens fleißig gemischt hatte, musste ich mich nur noch um die kritischen mittleren Frequenzen kümmern. Gitarren, Gesang und Synthesizer teilten sich einen relativ engen Frequenzraum, der aufgeräumt werden musste. Mit EQs und Kompressoren habe ich mein Bestes versucht, die Spuren auseinander zu halten und mit etwas mehr Dynamik zu versehen. Danach spielte ich mit dem Hall herum, bis mir der Raum groß genug für eine elektronische Produktion erschien, aber nicht die ganze Mischung zerstörte. Mit ganz viel Übung lief das wie von selbst.
Gegen Abend ging es an das Mastering. Ich versuchte mit Kompressor und Limiter dem Song eine angenehme Lautstärke zu geben. Ruhige Teile sollten lauter klingen, der Refrain musste dynamisch sein und es durfte nichts übersteuern. Ein vollständiges Mastering hat der Song nicht erhalten, denn dafür brauche ich einige Tage Abstand und frische Ohren.
Abgabe!
36 Stunden für einen Remix sind definitiv nicht viel Zeit, doch es gelang mir sogar 6 Stunden vor Deadline fertig zu sein. Das Ergebnis findet ihr auf YouTube.
Gerade mal zwei Drittel der Teilnehmer*innen haben einen Remix innerhalb von 36 Stunden abgegeben. Meiner erhielt gute Kritiken von Mitbewerber*innen, doch das Urteil der Jury erschien erst eine Woche später. Auch wenn es nicht zum Sieg gereicht hat, war ich erstaunt über meine Platzierung im oberen Drittel.
Wie fühlt man sich nach einem 36 Stunden Remix Marathon?
Fertig, aufgeregt und glücklich. Man staunt, dass man in so kurzer Zeit einen Song produzieren kann. Bei einem normalen Auftrag geht die meiste Zeit in Effekte, Mixing und Mastering. Für das Mischen und Mastern sollte man sich weiterhin mehr Zeit nehmen, alleine schon, um seinen Ohren Pausen zu gönnen! Beim Arrangement macht es keinen großen Unterschied, ob ich zwei Wochen oder zwei Tage daran sitze. Nach dem Remix Wettbewerb hatte ich das Gefühl, dass ich viele Schritte verkürzen kann, je mehr Übung und Erfahrung man hat.
An dieser Stelle sende ich einen herzlichen Gruß an die Band Brownies, dem Organisationsteam von start-ab und der Redaktion von Antenne Düsseldorf. Das Projekt hat sehr viel Spaß gemacht und ich habe sehr viel daraus gelernt. Danke auch dafür, dass ich den Song auf YouTube hochladen und dafür Cover und Text verwenden durfte.