Song Strukturen verstehen
Mit meinen Mitmusiker*innen rede ich häufig über Melodien, Texte und Instrumente, aber nur sehr selten über Stukturen. Dabei sind Strukturen ein wichtiger Bestandteil des Songwritings, da diese darüber entscheiden, ob unsere Hörer bis zum Ende dabei sind oder nicht. Dieser Artikel beinhaltet eine Übersicht der gängisten Strukturen und hilft, neue zu finden.
Song Bestandteile und ihre Funktion
Wenn du gerne moderne Musik hörst, wirst du herausgefunden haben, dass vereinzelte Bestandteile wiederholt werden. Analysiere die Texte und Akkorde, um herauszufinden, was typischerweise wann kommt. Ich bin mit elektronischer Clubmusik aufgewachsen, wo jeder Song über 8 Minuten lang war. Da war es üblich, dass jeder Part durch 32 oder 16 teilbar war. In der Pop und Rockmusik findet man Strukturen von 8 oder 16 Takten, während man im Blues eher zu 12 oder 16 Takten neigt. Es gibt keine klare Regel, das sind nur Empfehlungen, die gut bei den Hörer*innen, Musiker*innen und DJs ankommen. Natürlich kann man auch unterschiedliche Länge probieren, solange die gleichen Teile die gleiche Länge haben.
Hier ein kurzer Überblick der einzelnen Bausteine und ihre Bedeutung für den Song.
Intro (I)
Wenn der Song ein Intro besitzt, ist es immer der erste Teil. Deswegen gibt es davon auch nur ein Intro pro Song. Man nutzt Intros um Atmosphäre aufzubauen oder auf den nächsten Teil aufmerksam zu machen. Als Daumenregel halte ich fest: Je länger ein Song, desto länger das Intro. Trotzdem sollte ein Intro nicht länger als ein Drittel der gesamten Songlänge ausmachen. Ein gutes Beispiel in meiner Discographie ist der Progressive Metal Song „Truth„. Wir erzeugen die Atmosphäre mit Synthesizern und einer tickenden Uhr.
Outro oder Coda (O)
Gegensätzlich zum Intro, und doch irgendwie ähnlich ist das Outro. Das ist das Ende eines Songs, das ebenfalls eine Atmosphäre schafft, aber die Spannung senkt. Wenn man den Song als eine Reise wahrnimmt, wird auch klar, dass das Outro nicht dieselbe Stimmung haben muss wie das Intro. Im Sprachgebrauch wird auch häufig das Wort Coda benutzt, wobei es für mich nicht ganz das Selbe ist. Eine Coda ist für mich eine besondere Art des Outros, das sich an das Refrain anlehnt, wie z.B. bei meinem Song „Fit Right In“. Die letzten Takte werden wiederholt und verlangt gespielt (Ritardando). Technisch könnte man auch den Schlussakkord als Coda bezeichnen.
Strophe oder Verse (V)
Die Strophe ist ein Kernelement des Songs. Normalerweise haben alle Strophen dieselbe Metrik und dieselbe Melodie, aber einen anderen Text. Der Zweck einer Strophe besteht darin, eine Geschichte zu erzählen. Wenn man alle Refrains aus dem Song rausnimmt, liest sich der Songtext wie ein Gedicht. Ein üblicher Popsong hat zwei bis drei Strophen. In Folk Balladen wird man auch Strukturen mit mehreren Strophen finden.
Refrain oder Chorus (C)
Ein weiterer zentraler Bestandteil ist der Refrain. Er taucht mindestens zweimal auf und zeichnet sich durch eine äußerst eingängige Melodie (Hookline) oder Akkordfolge aus. Normalerweise ist sind die Akkordfolgen von Refrain und Strophen unterschiedlich. Die Refrains sind oft zueinander identisch, aber es gibt auch Ausnahmen, wo Melodie und Rhythmus gleich bleiben, aber der Text ausgetauscht wird.
Solo (S)
Die meisten Rock und Metal Songs haben mindestens ein Solo. Häufig handelt es sich um eine emotionale, komplexe und schwebende Lead Gitarre, auf die man gegen Ende des Songs sehnsüchtig wartet. Es können natürlich auch andere Instrumente sein, aber im Vordergrund steht eine Improvisation. Oft wird die Melodie auf denselben Akkorden wie der Refrain gespielt, aber manchmal kann das Solo auch komplett eigene Wege gehen. Achtung bei Blues und Jazz. Obwohl es dort mehrere Soli gibt, heißt es nicht, dass die Struktur mehrere Solo Parts besitzt. Wechseln sich Gesang und Instrumentalist ab, nennen wir den Part gewöhnlich nicht Solo.
Bridge (B) / Middle 8
Um zu viele Wiederholungen der Strophe-Refrain-Struktur zu vermeiden, benutzen viele Songwriter*innen eine Bridge (im Englische auch Middle 8 – für acht Takte) im letzten Drittel des Songs. Hierbei handelt es sich um eine Melodie und Akkordfolge, die sich bewusst von Refrain und Strophe löst und dadurch Spannung erzeugt. Im Songtext geht es häufig um einen Wendepunkt der Geschichte. Pop Musik – insbesondere Balladen – nutzen die Bridge um die Tonart zu verändern (Modulation). Eine typische Bridge hört ihr in meinem Song „Going My Way“, dort wo „I wanna scream out“ gesungen wird. Ihr erkennt sie sofort an der Änderung der Akkorde und Rhythmen.
Post-Chorus (PostC) / Interlude
Hierbei handelt es sich um eine einfache, äußerst eingängige Melodie, die nach dem Refrain gespielt wird. In der elektronischen Musik ist es oft ein Synthesizersolo das sich der Refrain Melodie anpasst, mittlerweile findet ihr dieses Konzept auch in anderen Genres. Häufig ist der Post-Chorus instrumental, aber es können auch mehrmals wiederholte Worte sein. Ein typisches Beispiel findet ihr in meinem Song „Where does it end?“, wo Synthesizer und Lead Gitarre eine Melodie aus dem Intro spielen. Der Part wird manchmal auch Interlude genannt, insbesondere wenn danach die nächste Strophe folgt.
Pre-Chorus (PreC) / Mini Bridge
Viele Pop Songwriter*innen verbinden Strophe und Refrain durch einen Pre-Chorus, die manchmal auch Mini Bridge genannt wird. Dieser Baustein hat 2-8 Takte und bietet gute Möglichkeiten um Tonart und Tempo zu ändern. „Don’t tell me if it hurts“ hat einen sehr starken Pre-Chorus, der mit „Does your heart skip a beat…“ beginnt. Hier sieht man auch den Zweck dieses Bestandteils: Man setzt ein Fragezeichen, das vom Refrain aufgelöst wird.
Drop (D) / Breakdown
Mit Breakdown ist eine Ruhephase (Anticlimax) gemeint, bevor der Song in einer vollkommen anderen Richtung weitergeht. Mein Song „The Awakening“ hat eine sehr lange Pause, wo orchestrale Elemente in den Song fließen. Früher war dieser Begriff eher in der elektronischen Musik geläufig, doch nun findet man Drops und Break Downs auch im Metalcore oder Pop. Der Unterschied zwischen den beiden Begriffen ist lediglich ihre Länge und Intensität. Drops sind kürzer und sprunghafter.
Übliche Schemata
Verse Chorus in der Pop Musik
Ich nenne mich Songwriter*in der Popmusik, weil ich mich überwiegend an diese Schemata und Strukturen halte. Die Kombination aus Strophe, Refrain und Solo ist den meisten Hörer*innen geläufig und einfach zusammenzusetzen. Nicht jeder Pop Song hat ein Intro und ein Outro, aber alle haben eine Strophe und einen Refrain. Hier einige Variationen:
- I-V-C-V-C-O
- V-C-V-C-V-C-C
- V-C-V-C-B-C-C
- V-PC-C-V-PC-C-S-PC-C
- I-V-PC-C-PC-V-PC-C-PC-S-PC-C
Das klassische Rondo
Das Wort Rondo klingt schon fast wie rund und so ist es auch. In dieser mittelalterlichen Songstruktur, die übrigens auch in der klassischen und barocken Musik verwendet wird, tauchen mehrere Bestandteile häufiger auf. Die übliche Struktur sieht so aus:
- A-B-A-C-A-B-A
- A-B-A-C-A-D-A
- A-B-A-C-A-D-A-E-A
Wenn man A Chorus nennt und die anderen Teile Strophe, erhält man sogar eine Struktur, die in der modenen Musik auftaucht:
- C-V1-C-V2-C-V1-C
- C-V1-C-V2-C-V2-C
- C-V1-C-C2-C-V3-C-V4
Aus dem Schema brechen
Pop Schemata sind einfach und für jeden verständlich. Auf Dauer können sie langweilig werden. Wenn es dir beim Songwriting nicht um charttaugliche Musik geht, kannst du mit den Strukturen experimentieren. Hier ein paar exotische Beispiele meiner Songs und Arrangements.
Sleepless – Offenes Ende mit Solo
Beginnen wir mit dem einfachsten Beispiel, wie man die Erwartungen von Hörern zerschmettern kann. „Sleepless“ folgt einer üblichen Pop Struktur bis auf wenig Kleinigkeiten. (A) Es gibt einen Drop in den Storphen, (B) Der Refrain hört sich eher wie ein Pre-Chorus an und (C) Der Song endet mit einem Solo. Unsere Hörer warten auf einen Refrain, der nicht kommen wird. Und das ist pure Absicht, denn im Text geht es um Selbstmitleid und Schlaflosigkeit. Am Ende findet der Protagonist endlich zum Schlaf, deswegen ist das Ende ein erlösendes Solo. Das ist die Struktur:
I – V – C – PostC – V – C – B – S – O
Hero – Viele Tonartwechsel und ein zweigeteilter Refrain
Obwohl wir uns auch bei „Hero“ an eine Pop Struktur halten, gibt es Kleinigkeiten, die auch geübte Hörer*innen verwirren könnten, aber absichtlich passiert sind. Da die Strophe in F Dur geschrieben wurde, erwartet jeder einen Refrain in C-Dur. Statt dessen hüpfen wir zu D Dur, was sich komplett außerhalb der Tonart befindet und sind sofort beim modalen Songwriting gelandet. Der Refrain besteht zudem aus zwei Teilen. Ein weiterer interessanter Punkt ist, dass das Intro mit einem Akkord sehr kurz ist und das Outro die Strophe aufgreift. Da der Song so komplex ist, hält sich der Rest an die Regeln.
I – V – C1 – C2 – V – C1 – C2 – B – S – C1 – C2 – O
September – Zwei verschiedene Refrains
„September“ beschreibt eine Geschichte von Anfang bis Ende. Musikalisch besteht er zwar nur aus 4-5 Akkorden, aber wir haben viele Strophen und Refrains, die textlich nicht identisch sind. Das Herausstechende an diesem Song ist, dass es einen zweiten Chorus gibt („I’m turning back, you twist my neck“ etc.), der vor und nach der Bridge auftaucht. Das ergibt folgende Struktur:
I – V1 – C1 – Interlude1 – V2 – Interlude2 – C1 – C2 – S – B – C1 – C2 – O
Truth – Ein Song in Kapiteln
Die mit Abstand seltsamste Struktur hat der Song „Truth„. Er hat nämlich keine Strophen, keinen Refrain, ABER wiederkehrende musikalische Themen. Wenn man genau hinhört, wird man das Klavierthema das Intros von mehreren Instrumenten an mehreren Stellen wiederfinden. Diese Einzelheiten sind nicht einfach zu finden, weil wir mehrmals die Taktart, das Tempo und die Tonart wechseln und die Melodie natürlich daran angepasst werden muss. Wir haben uns bewusst gegen einen Refrain entschieden, weil der Song eine Geschichte in Kapiteln erzählt. Die Struktur ist folgende:
I1 – I2 – C1 – Interlude – V1 – Interlude2 – D1 – Interlude3 – V2 – V3 – S1 – S2 – D2 – S3 – V4 – D3 – C1 – S4 – Interlude2 – C2 – O
Spiele herum mit der Struktur
Wenn du gerade erst mit dem Songwriting angefangen hast, solltest du dich erstmal die Pop Schemata wagen. Doch wenn es dir zu langweilig wird, spricht nichts dagegen die Muster aufzubrechen. Es gibt keine Regeln in der Kunst, lediglich Empfehlungen. Im schlimmsten Fall sind die Zuhörer*innen verwirrt und schalten nach 30 Sekunden ab. Andere Ohren sind offen für exquisite Strukturen, wie sie im Progressive Rock vorkommen. Wenn das Werk gut aufgenommen und dokumentiert wurde, kann man die Struktur im Nachhinein immer noch ändern.