Songwriting in verschiedenen Musikstilen
Wie sehr unterscheiden sich Songwriting und Produktion von elektronischer Musik und handgemachter Musik? Es gibt mittlerweile so viele verschiedene Musikgenres, dass eine pauschale Aussage unmöglich ist. Daher beschränke ich diesen Post auf meine Erfahrungen im Bereich Pop, Rock, Metal und EDM. Lest hier, was mir als Songwriterin durch den Kopf ging, als ich mich von der elektronischen Musik in die handgemachte Musik stürzte.
Das Problem mit den Musikgenres
Man schätzt, dass es über 1000 Musikrichtungen gibt. Jede einzelne besticht durch eine Instrumentierung, Arrangement, Gefühl, Tempo oder Harmonie. Vor nicht allzu langer Zeit konnte man leicht Songs in Schubladen stecken. Elektrische Gitarren waren ein klares Zeichen für Rockmusik, wie Synthesizer für elektronische Musik. Der Blues bestand aus einem 12-Takt Schema, während Popmusik zu einem Synonym für Radiomusik wurde. Diese Tage sind vorüber. Fast jedes Lied ist eine wilde Mischung aus unterschiedlichen Musikrichtungen, sodass es fast unmöglich ist, die Stile korrekt zuzuordnen. Trotzdem ordnen wir Songs Musikstilen zu, um der Zielgruppe zu erklären, was sie grob erwartet.
Mein musikalischer Hintergrund
Schon als Kind habe ich Popsongs zu schreiben. Da ich nur Klavier spielen konnte, war es für mich unmöglich ein Arrangement für eine komplette Band zu schreiben. Auf der ständigen Suche nach Gitarrist*innen und Sänger*innen zögerte sich mein Ziel, Popmusik zu produzieren, immer mehr heraus. Also begann ich mit der elektronischen Tanzmusik, kurz EDM. Viele Jahre lang habe ich gelernt, wie man Synthesizer bedient, Schlagzeug programmiert, Automationen setzt, mischt oder mastert. Als ich 16 war, gründete ich meine Internetband The Verge. Sie war die Eintrittskarte in den Alternative Rock und Punk Rock.
Mittlerweile habe ich mich als Songwriterin in 40 unterschiedlichen Musikrichtungen zwischen Pop, Rock, Elektro, Metal, Ambient und Blues ausgetobt. Wenn mich jemand fragt, was ich für Musik schreibe, würde ich wahrscheinlich „alles, was ich mag“ antworten. Ich beschränke mich nicht auf Genre, Themen, Sounds oder Modeerscheinungen. Wahrscheinlich würde ich mich als Indie-Songwriterin bezeichnen, weil ich mich im Großen und Ganzen an die Strukturen der Popmusik halte, aber keinen massenkompatiblen Sound verfolge.
Harmonie
Es gibt viele Songwritingtechniken, mit denen man interessante Songs schreiben kann. Musiktheorie ist ein gutes Hilfsmittel für Songwriter, doch es ist nicht die einzige Möglichkeit. Viele Songs entstehen auch während Jam Sessions. Normalerweise habe ich gut 80 % des Songs im Kopf, bevor ich eine Skizze schreibe. Allerdings kann ich nach so vielen Projekten mit verschiedensten Musikern in verschiedensten Genres auch behaupten, dass die Wahl der Instrumente einen großen Einfluss auf die Harmonien ausübt.
Die Bedeutung von Instrumenten im Songwriting
Mein bevorzugtes Instrument für Songwriting und Komposition ist das Klavier. Auch wenn C-Dur und G-Dur die einfachsten Tonarten für Tasteninstrumente sind, habe ich erstaunlich wenige meiner Songs in diesen Tonarten geschrieben. Der positive Klang gefällt mir einfach nicht.
Eigentlich lässt sich fast jede Tonart auf dem Klavier gut spielen, solange man Doppelkreuze und große Intervallsprünge vermeidet. Fis-Dur, Gis-Moll, vereinzelte Blues-Skalen und Akkorde mit mehr als 4 Tönen finde ich schwierig zu greifen – manch geübter Jazzpianist dürfte darüber lachen. Ich mag es nicht, Songs auf dem Klavier zu transponieren, weil man alle Akkorde neu schreiben und lernen muss. Wer keinen Wert darauf legt, dass alles echt eingespielt ist, setzt auf digitale Kompositionstools, die das mit einem Klick erledigen. Alles, was maximal zehn Finger benötigt und sich innerhalb von zwei, drei Oktaven bewegt, ist auf dem Klavier angenehm zu spielen. Wer ausgezeichnet gut Klavier spielen kann, bewegt sich in rasender Geschwindigkeit über alle Oktaven und sämtliche Tonarten.
Gitarre spielen eröffnete mir die Welt der Sext- und Septakkorde. Im Vergleich zum Klavier klingen sie voller und sind häufig einfacher zu spielen. Wer aus dem Punk Rock oder Metal kommt bevorzugt Powerchords, die nur aus Grundton und Quinte bestehen. Mit den richtigen Effekten klingen diese Akkorde auf der E-Gitarre toll. Auf dem Klavier funktionieren diese Akkorde für mich nicht, aber ich kenne einige, die sie nutzen. Während ich andere Songs coverte, fiel mir eine überdurchschnittliche Häufung der Tonarten e-Moll, a-Moll und D-Dur auf, da diese auf der Gitarre leicht zu spielen sind.
Mit dem neuen Instrument wurde mir bewusst, dass man für das Melodiespiel nur 4 Finger zur Verfügung haben (ausgenommen zweihändiges Tapping und Personen, die mit der Daumentechnik die Basssaite spielen). Manch Melodie, die auf dem Klavier einfach ist, bringt eine Gitarrist*in zum Schwitzen, da die Fingersätze sehr ungünstig liegen. Dasselbe dürfte auf den Bass zutreffen, weil die Spielweise und Stimmung ähnlich ist.
Ich beneide Gitarristen um ihren Capodaster, ein HIlfsmittel, das die Saitenlänge verkürzt, also nach oben transponiert. Dadurch kann man Akkorde in einer anderen Tonart greifen, als sie erklingen. Was würde ich dafür geben, so ein Tool für ein Klavier zu besitzen!
Blechblas- und Holzblasinstrumente haben einen sehr beschränkten Tonumfang, der auch von dem*der Spieler*in abhängt. Die Songs müssen für diese Tonarten optimiert werden, weil sie sonst nicht spielbar sind. Oder man muss Instrumente unterschiedlicher Stimmung oder Lage einsetzen. Wenn wir schon beim Thema Stimmung sind, möchte ich darauf hinweisen, dass Violinen, Mandolinen und Ukulelen nicht dieselbe Stimmung wie Gitarren haben, obwohl es auch Saiteninstrumente sind.
Manchmal ist die Auswahl der Tonart und Harmonie auch durch technische Randbedingungen beschränkt. Epische Orchestermusik wird am Rechner auch mal mit 16 gleichzeitig erklingenden Tönen komponiert, was nicht auf Dance Syntheisizern funktioniert. Außerdem ist nicht jede Umkehrung auf jedem echten Instrument spielbar.
Songtexte
Songtexten sind keine Grenzen gesetzt, aber vereinzelte Genre habe ihre Vorlieben. So wird man niemals einen Dance Song finden, der sich mit dem Genuss von Essen beschäftigt. In diesem Genre stehen Beziehungen, Party, Trauer, Hoffnungslosigkeit, Naturverbundenheit oder Gefühle ganz oben auf der Liste. Im Singer-Songwriter und Country hört man meistens Texte über Lebensabschnitte, Alltagsleben oder der Stadt, in der man aufgewachsen ist. Auch diese Themen sind im Pop und Rock zu finden, wenn seltener. Punk Rock Songtexte sind häufig ironisch oder politisch, was sich gut durch die Historie des Genres erklären lässt. Wenn man Zweifel hat, worüber man schreiben soll, ist Liebe ein Thema, das in jedem Genre funktioniert.
Abgesehen von den Themen, fiel mir auf, dass sich Reimschemata und Metriken von Genre zu Genre unterscheiden können. In meinen frühen Tagen habe ich viel mit Dreizeilern und Fünfzeilern gearbeitet, was in vielen handgemachten Genres nicht funktioniert. Je eher man ich im Punk oder Grunge bewegt, desto direkter und kürzer können die Texte ausfallen. Häufig gibt der Rhythmus im wahrsten Sinne des Wortes den Ton an. Ich fand heraus, dass Raps verflucht schwierig zu schreiben sind, weil man hier ganz besonders auf die Reimschemata und Metriken aufpassen muss. Doppelreime und Dreifachreime sind nichts Außergewöhnliches. Popmusik ist irgendwo dazwischen. Man kann theoretisch über alles schreiben, wenn man die richtigen Gefühle hat und die Reime nicht zu offensichtlich klingen.
Arrangement
Wenn ihr mich fragt, liegt der größte Unterschied zwischen den Genres im Arrangement. Das hat nicht nur mit der richtigen Wahl der Instrumente zu tun, sondern auch mit der Struktur. Heutzutage scheinen Höhepunkt und Drop die zwei wichtigsten Elemente eines Songs zu sein. Richtig eingesetzt führen sie dazu, dass man den Song bis zum Ende hören möchte.
Layering und Komplexität
Layering ist eine bewusst eingesetzte Technik, um Instrumente breiter und durchsetzungsstärker scheinen zu lassen. In der elektronischen Musik wird dies überwiegend auf Bass und Synthesizer angewendet. Exakt dieselben Melodien werden von mehreren Synthesizern gespielt. Die melodische Komplexität hat stark nachgelassen, während Sounddesign stark im Kommen ist.
Als ich mich zunehmend der Pop- und Rockmusik gewandt habe, bestanden meine Arrangements aus 12-20 Spuren. Grob um den Daumen gepeilt, wurde jedes Instrument doppelt aufgenommen. Für eine typische 5-Personen-Band werden heutzutage 40-100 Spuren aufgenommen. Ein Drittel davon sind nur Gesangsaufnahmen, mindestens 10 Spuren nur Schlagzeug. Was mich mit Abstand am meisten erstaunt hat, ist die Anzahl an Spuren, die man im späteren Mix kaum wahrnimmt. Diese Praktiken kenne ich bislang nur aus der elektronischen Musik – Wie kamen sie in die Rockmusik?
Songaufbau
Auch die Struktur von Songs hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm verändert. Ich erinnere mich noch an die Zeit in der Dance in einer VCVC (verse, chorus, verse, chorus) Struktur geschrieben wurde. Heute wäre es eher VVDCC, da der Drop (hier als D gekennzeichnet) eine zentrale Rolle spielt. Wenn man die progressive Musik außer Acht lässt, waren Songlängen von 6:30 – 11:00 normal, während heute 2:00 bis 2:30 gespielt werden. Immer häufiger findet der Wendepunkt (Bridge) weg, sodass sich elektronische Musik zunehmend auf einen guten Drop und eine ausdrucksstarke Melodie (Hookline) fokussiert.
Doch auch in der Pop- und Rockmusik hat sich die Songlänge verkürzt. Da ich in den späten 90ern und 00ern aufgewachsen bin, bin ich eine Länge von 4:30 gewöhnt. Heutzutage höre ich 3:00 – 3:40. Innerhalb dieser Länge findet man VCVCBC (verse, chorus, verse, chorus, bridge, chorus) oder CVCVBCC (chorus, verse, chorus, verse, bridge, chorus, chorus) Strukturen. Die kürzere Songlänge führt auch hier dazu, dass die Bridge zunehmend an Bedeutung verliert. Lustigerweise mogelt sich ein sogenannter Pop Drop in die heutige Popmusik hinein. Es ist eine verkürzte Variante von dem, was in der elektronischen Musik einen kompletten Richtungswechsel andeutet.
Wer sich von unterschiedlichen Musikrichtungen inspirieren lässt, wird neue Strukturen kennenlernen und annehmen.
Sounddesign
Fast jeder EDM Produzent redet über Sounddesign. Neue Klänge mit neuen Synthesizern zu erschaffen und ganz viele Spuren übereinander zu legen ist zu einem Sport in dieser Szene geworden. Wer einen neuen Sound erfunden hat, wird kopiert. Umso interessanter ist, dass sich nun auch die Popmusik intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Elektronische und moderne Rock-Produktionen, in denen Synthesizer eine verstärkte Rolle spielen, kommen kaum noch ohne Sounddesign aus.
Ich wurde hellhörig, als ich ausgerechnet von Gitarristen der Rock- und Metalmusik das Wort Sounddesign hörte. Die Effektkette auf elektrischen Gitarren kann beliebig kompliziert werden. Es geht nicht mehr um Verstärker und Verzerrung. EQs, Kompression, Delay, Flanger, ja, auch ein Bitcrusher können komplett neue Komponenten in den Gitarrensound bringen. Bislang kannte ich diese Geräte nur aus der elektronischen Musik.
Synthetische Musik und handgemachte Musik verschmelzen zunehmend. Zumindest im Thema Sounddesign scheint man aus beiden Welten das Beste mitgenommen zu haben.
Mixing
Ich habe Mix und Master anhand elektronischer Musik gelernt. Als ich in die Rockmusik gewechselt bin, hätte ich NIEMALS erwartet, dass mein Ergebnis so viel anders klingt als das von Engineers, die im Rock aufgewachsen sind. Musiker handgemachter Musik legen viel mehr Wert auf die Aufnahmequalität. In der analogen Welt gibt es sogar Unterschiede, mit welchen EQs und Verstärkern man arbeitet. Doch auch hier zieht die digitale Welt nach.
Der größte Unterschied zwischen den Genres ist mir aufgefallen, als es um Raumeffekte ging. Es scheint, als würden Produzenten elektronischer Musik eher Sounddesign betreiben als die physikalischen Hintergründe kennen. Man höre sich nur mal den Hall auf einer Gesangsaufnahme an. Wenn man diese in Echt nachstellen würde, müsste man den Gesang in einem gläsernen Dom aufnehmen. In diesem Bereich habe ich also noch sehr viel Neues zu lernen.
Die Musikrichtungen ähneln sich mehr als man glaubt!
Ganz gleich, wo die musikalischen Wurzeln liegen – In der heutigen Zeit sollte man sich nicht zu sehr auf einen Stil beschränken. Heutige Musik ist sowieso ein wilder Stilmix. All diese Klänge und Überlegungen im Sounddesign, Mixing und Co wären nicht entstanden, wenn man sich nicht außerhalb seiner Komfortzone gewagt hätte. Ich muss nur daran denken, wie Gitarristen Effekte verwenden, die ich eher in der elektronischen Musik vermutet hätte. Wieso sollte ein Musikproduzent der elektronischen Musik sich nicht mit Röhrenverstärkern befassen?
Es scheint kein „falsch“ oder „richtig“ zu geben. Die einzelnen Musikrichtungen sind eher Konventionen, die sich aus Hörgewohnheiten ergeben haben. Manche Techniken sind nur in einer Szene bekannt und führten zu einem gewissen Sound. Wer mit unterschiedlichen Strukturen, Melodien, Effekten und Themen arbeitet, kann sich einen viel größeren Raum an Möglichkeiten eröffnen. Also, wieso sollte man sich dann noch an Konventionen halten?